Folge 3 vom 10.05.2010:

Fussballmetaphern

 


Inhalt:

    - Jürgen Rüttgers,
    - Fussballpolitik und
    - Wahrheit ist aufm Platz


 

 

Nichts macht kulturellen Verfall deutlicher, als die abnehmende Genauigkeit der verwendeten Metaphern.

Jürgen Rüttgers beispielsweise bemühte nach seiner beinahe gewonnen Wahl in Nordrheinwestfalen im Mai 2010 ein Fußballgleichnis. Das ist momentan modern und funktioniert immer wieder ganz gut. Er sagte: „Das ist wie im Fussball. Bei Punktegleichstand zählt am Ende, wer mehr Tore geschossen hat.“

Liebe Fussballfans, liebe Wähler: Warum sollte man glauben, dass auf ein solches Denken Verlass ist? Ich kenne kaum einen Lehrling in Deutschland, der das nicht besser wüsste. Zugegeben, vielleicht ist es so, dass der Mann viel präziser argumentiert, sobald es um Wirtschaftspolitik geht. Vielleicht beginnt er erst bei der Arbeitslosenstatistik, ganz genau hinzusehen. Vielleicht ist er auch sofort bei der Sache, wenn es um Bildungspolitik geht. Und vielleicht hatte der Mann einfach Angst um seinen Posten und vergaß deshalb einen Moment lang, nachzudenken.

Aber was, wenn nicht? Was, wenn der Mann nie präzise denkt? Was, wenn die Politik der BRD genau so gut wäre, wie die Fussballmetaphern ihrer Politiker?

Hätten wir eine aufgeklärte Bildungspolitik, könnte man an dieser Stelle Bismarck zitieren: „Jedes Volk", sagt der Reichskanzler, „bekommt den Herrscher, den es verdient.“ Nur beginnt das deutsche Volk schon bei der Erwähnung von „Bismarck“ kollektiv zu schlafen. Das haben wir in der Schule gelernt.

Man mag es als kleinlichen Sophismus abtun, aber: Wenn am Ende der Bundesliga Punktgleichstand herrscht, zählt keineswegs, wer mehr Tore geschossen hat. Es könnte so sein, ist aber nicht so. Entscheidend ist vielmehr die Tordifferenz. Als Geisteswissenschaftler weiß man das. Ansonsten übrigens auch.

Es gibt aber ein Fussball-Sprichwort, das gepasst hätte. Es stammt von Jürgen Klinsmann und lautet: Die Wahrheit ist aufm Platz.

von Gerald Reuther.

 

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